Produktvorstellung: H5 - Duell der Weltenbäume
08/09/2023"Duell der Weltenbäume" ist das fünfte Set im Held-Zyklus!
“Shion, ich bin wieder da.” sagte Valentina, als sie ihre Gemächer betrat. Dort wurde sie von Shion bereits erwartet, so wie sie es bei ihrer Abreise befohlen hatte.
Valentina strahlte Ruhe und Selbstbewusstsein aus, eine Aura des Erfolgs umgab sie. Shion erhob sich mit einem freundlichen Lächeln, als ihre Herrin das Zimmer betrat, und begrüßte sie mit sanfter Stimme.
„Willkommen zu Hause, Lady Valentina. Shangri-La hat eure Rückkehr schon sehnsüchtig erwartet.“
„Shion, heute bin ich in großzügiger Spendierlaune. Alle meine Pläne sind wie erhofft aufgegangen und jetzt sollte alles so verlaufen, wie ich es mir vorstelle. Daher darfst du heute eines deiner Lieder zum Besten geben, du hast freie Auswahl.“
„Vielen Dank, Milady. Dann werde ich euch mein neuestes Werk präsentieren, sozusagen eine Premiere. Es ist ein Lied, das eure Krönung als Herrscherin über die Sieben Reiche besingt. Ich nenne es „Die Herrscherin“.“
„Ah, „Die Herrscherin“, ein vortrefflicher Titel, der nicht besser passen könnte. Ich bin eins mit dieser Welt. Wer diese Welt liebt, der liebt auch mich. Leider habe ich nur genug Zeit, um das Lied ein einziges Mal zu hören, dann muss ich bereits zu meinen Truppen zurückkehren.“
Valentina lauschte gebannt, bis Shion ihr Lied beendet hatte, dann erhob sie sich und eilte in die unteren Ebenen ihres Palastes. Shion folgte ihr.
Valentinas Truppen standen bereit, um die Invasion der umliegenden Reiche zu beginnen. Denn nach dem Tod ihrer Herrscher waren diese Reiche leichte Beute für Valentina und ihre Armeen. Und die heimtückische Herrscherin hatte noch so manchen weiteren Eroberungsplan.
Als sie ihre Armeen inspizierte, huschte – kaum sichtbar – für einen kurzen Augenblick ein fieses Lächeln über Valentinas sonst so gefasste Gesichtszüge. „Tja, Shion, ich fürchte, ich muss wieder allein losziehen. Ich teile nicht, noch nicht einmal den Ruhm für meine Siege auf dem Schlachtfeld.“
„Dann werde ich hier auf euch warten und für eure sichere Rückkehr beten.“
„Da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Diese Bauerntölpel sind ohne ihre Herrscher keine Gefahr für mich. Die einzige Frage für mich ist, ob die Dunkle Alice mit diesem Weltensammler fertig werden wird oder nicht. Aber ich bin natürlich auf beide Möglichkeiten vorbereitet.“
„Milady, aber habt ihr keine Angst, dass das Volk aufbegehren wird? Wenn es für sie keinen anderen Ausweg gibt, fallen Ratten selbst Katzen an.“
„Ich bin aber keine Katze, und keine Ratte der Welt kann einen Gott bezwingen.“ Mit diesen Worten schickte Valentina Shion in den Palast zurück und nahm ihren Platz an der Spitze ihrer Armee ein.
Shion kehrte allein in Valentinas Gemächer zurück. Ihre Schritte hallten durch die leeren Marmorgänge des Palasts von Shangri-La.
Sie war nicht ihr ganzes Leben die Kammerzofe der Herrscherin dieses Inselkönigreichs gewesen. In ihrem sechszehnten Lebensjahr war ihr Vater auf mysteriöse Weise bei einem überraschenden Überfall von Meermenschen ums Leben gekommen.
Ohne sein sicheres Einkommen musste Shion in einer nahe gelegenen Taverne auftreten, um für sich und ihre kranke Mutter sorgen zu können. Ihre Schönheit und ihre Stimme machten sie schnell bekannt in der ganzen Stadt und sorgten für ein erträgliches Einkommen.
Schließlich hörte auch Valentina von dieser blutjungen Sängerin und sofort war ihr klar, dass sie diese wunderschöne Berühmtheit besitzen musste. Valentina ließ Shion in den Palast bestellen, bot ihr die Position einer Kammerzofe an und übergab ihr einen Beutel voll Gold, damit Shions kranke Mutter ausgesorgt hatte. Einige Tage später allerdings konnte Shions Mutter anscheinend ihre Einsamkeit nicht mehr ertragen und stürzte sich ins Meer. Obwohl sich dieser tragische Zwischenfall bereits wenige Tage nach Shions Dienstantritt zugetragen hatte, erreichte sie die traurige Nachricht erst Monate später.
„Lady Valentina, was glaubt ihr denn, wo sich Ratten verstecken. Ihr wäret sicherlich überrascht davon, wie viele Ratten es direkt hier in Shangri-La gibt, verglichen mit all den anderen Königreichen, die ihr euch noch einverleiben wollt.“
Während Valentina und ihre Armeen davon segelten, um fremde Reiche einzunehmen, schlich sich Shion heimlich aus dem Palast. Sie wanderte durch die Straßen und Gassen von Shangri-La, bis sie zur Küste kam, und blickte weit über das Meer. An einer kleinen Seitenstraße bog sie ab und verschwand in einem Gewirr dunkler Gassen, so undurchsichtig wie die Bewohner, die dort hausten. Diesen Teil der Stadt liebte Shion am meisten, denn er war für viele Jahre ihr Zuhause gewesen. Hier konnte sie für einen Augenblick alles vergessen und ungestört singen, wonach es ihr gerade beliebte.
Aber ihre Gedanken kreisten immer wieder um das Eine. „Valentina hat mir die Mutter genommen und jetzt einen weiteren Krieg angezettelt wie den, der meinem Vater das Leben gekostet hat. Hier muss sich etwas ändern, aber ich weiß noch nicht wie.“
Als die Straßen sie wieder an den Rand der Stadt führten, ließ sie ihren Blick in die Ferne schweifen. Irgendwo da draußen gab es andere Reiche, mit anderen Menschen und anderer Musik. Reiche, auf die es Valentina abgesehen hatte, die sie in ihrer unersättlichen Gier besitzen musste, so wie vieles andere auf dieser Welt.
Wie lange noch? Shion stellte sich diese Frage in letzter Zeit immer öfter. Wie lange wird es noch dauern, bis die Musik dieser Menschen für immer in Vergessenheit gerät? Shion spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog und eine schwere Last ihr den Atem zu rauben schien. Das Mädchen fiel verzweifelt auf die Knie.
„Ich... ich bin... so hilflos. Meine Eltern konnte ich nicht retten. Valentina kann ich nicht aufhalten. Oh, diese armen Menschen...“
Zum ersten Mal seit langer Zeit weinte Shion. Alles, was sie so lange mühsam vor Valentina zurückgehalten hatte, brach auf einmal aus ihr heraus. Warum konnte nicht alles wieder so wie früher sein? Warum konnte sie nicht einfach wieder in Tavernen singen und ihre Mitmenschen damit erfreuen?
Shion wusste aber, dass dies nicht mehr möglich war, dass jemand ihrem Glück und dem Glück von Shangri-La im Weg stand. Dies ließ ihr seit langer Zeit schon keine Ruhe, sie musste Valentina irgendwie stürzen, doch Valentinas Magie war viel zu stark und ihre Augen stets wachsam und auf der Hut vor einer ernsthaften Bedrohung.
Die Sängerin schlang ihre Arme um sich und spürte, wie ihre Traurigkeit langsam aber sicher in Hass umschlug.
Shions Einsamkeit und ihre düsteren Gedanken wurden jäh unterbrochen. Ein seltsames Geräusch ertönte ganz in der Nähe, unten am Strand. Es war ein ungewöhnliches Geräusch, ganz anders als die so vertrauten Klänge eines hölzernen Schiffes oder Bootes, das sich dem Strand näherte.
Es war das Geräusch, das ein großer Metallkopf beim Auftauchen macht, das Geräusch, das zwei Metallarme eines riesigen Konstrukts machen, wenn sie eine schwere Last an den Strand heben. Und dann war ein dumpfer Aufprall zu hören.
„Puuuh, Wahnsinn, Marie! Ich wusste nicht, dass du auch unter Wasser laufen kannst! Hammer!“ Ein Mädchen, das auf der Schulter des riesigen Konstrukts wie ein Schoßtier gehockt hatte, sprang von dort herunter und landete elegant.
„Kontinuierliche Submersion ist wegen Korrosionsgefahr nicht empfehlenswert, aber Meister hat mich so gebaut, dass ich kurze Strecken unter Wasser zurücklegen kann. Aber meinen Berechnungen zufolge hättest du nicht so lange ohne Luft auskommen dürfen, Pricia.“
„Hahaha, da staunst du, was! Das hat mir Xuan Wu beigebracht! Hmm, irgendwie ist unsere Invasion jetzt doch mehr eine Infiltration geworden. Hier ist niemand, der uns angreift. Vielleicht ist Valentina nicht zu Hause.“
„Meine optischen Sensoren haben eine sehr starke Vergrößerung, aber auch ich kann denjenigen, der meinen Meister umgebracht hat, nirgends entdecken.“
„Tja, dann werden wir ihr wohl eine Falle stellen müssen. Wenn sie fort ist, hat sie wahrscheinlich ihre Armee auch mitgenomm...uhh, hey, Marie, wer ist das denn?!“
Pricia hatte Shion erst jetzt entdeckt, die – vollkommen fasziniert von den seltsamen Besuchern – still und bewegungslos direkt vor ihrer Nase ausgeharrt hatte. Shion nahm all ihren Mut zusammen und rief dem seltsamen Duo eine Frage zu.
„Entschuldigung, ich weiß, es ist vielleicht eine recht seltsame Frage, aber ihr zwei seid nicht zufällig Ratten, oder?“
„Was?! Au weia, was geht denn hier ab? Sehe ich vielleicht aus wie eine Ratte? Oder sie etwa?“ Pricia zeigte auf Maribel, die gerade dabei war, alles Wasser aus ihren Gliedmaßen ablaufen zu lassen.
„Obwohl...“ Pricia legte einen Finger an ihre Schläfe, als ob sie zeigen wollte, dass sie besonders intensiv nachdachte. „Ich habe einmal mit einer Ratte in Sissei trainiert. Wie heiß er noch gleich? Oh, stimmt, Meister Splin-“
„Pricia, ich glaube, sie meint etwas anderes damit. Sowas wie „die Ratten verlassen das sinkende Schiff“ oder so, mein Meister hat dies manchmal gebraucht, wenn er sich über Valentina ausließ.“
„Aaaaahh, jetzt verstehe ich. Aber nur, weil du so gebügelt und gestriegelt aussiehst und ich hingegen so nass und zottelig, ist das kein Grund, dich über mich lustig zu machen!“
„Oh, das tut mir leid, ich wollte euch nicht beleidigen. Ich hatte nur eure Unterhaltung mit angehört und – ach, vergesst es einfach.“
Pricia sprang auf Shion zu, so dass ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von Shions Gesicht entfernt war und sich ihre Nasen fast berührten. Pricia versuchte, ihr Gesicht zu einer Furcht erregenden Grimasse zu verziehen, um Shion einzuschüchtern, war damit aber nur mäßig erfolgreich. „Hey, Vorsicht, alles, was du hier gehört hast, bleibt unser Geheimnis, verstanden?! Kein Wort zu niemandem!“
Shion machte ein paar langsame Schritte nach hinten.
„Ja, das versteht sich von selbst. Aber eigentlich hätte ich noch ein paar Fragen zu eurer Unterhaltung.“
„Hey! Hast du Bohnen in den Ohren?! Ich sagte doch ‚kein Wort zu niemandem‘!“
Maribel, die inzwischen ihre „Wartungsarbeiten“ beendet hatte, wandte sich an Prica.
„Pricia, nicht so voreilig. Ich glaube, wir sollten mit dieser Frau reden.“
„Ach ja? Wieso das denn?“
„Ich kann es nicht erklären, aber ich spüre eine tiefe Traurigkeit in ihr. Genau dieses Gefühl, das ich immer habe, wenn ich dich anschaue.“
Bei Maribels Worten wurde Pricia auf einmal wieder ernst. „Ach, wirklich? Na wenn Marie das sagt, dann bist du wahrscheinlich in Ordnung. Okay, ich will dir vertrauen. Ich bin Pricia und das hier ist Marie.“
Pricias ernster Gesichtsausdruck machte einem strahlenden Lächeln Platz. Sie klopfte auf Maribels Bein, was einen leisen, metallischen Ton erzeugte.
„Lady Valentina, ich fürchte, ich habe euch nur die erste Hälfte meines neuen Liedes vorgesungen. Die erste Hälfte lobpreist die Herrscherin, weil das so üblich ist und erwartet wird. In der zweiten Hälfte jedoch rebelliert das Volk nach langen Jahren der Unterdrückung. Und als es das tut, sieht es sehr schlecht aus für die Herrscherin...“
Shions leise Worte verstummten, als sie an den schwierigen Weg denken musste, der vor ihr lag. Dann atmete sie tief durch und sprach mit einem sanften Lächeln.
„Ich denke, wir haben eine Menge zu besprechen. Und da ihr euch bereits vorgestellt habt, werde ich das jetzt auch tun. Mein Name ist Shion. Doch anstatt lange Reden zu schwingen, möchte ich euch lieber ein Lied vorsingen. Es heißt „Die Herrscherin“.“
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