
Alice 5: Hungrige Schatten
Alice: Die Sieben Herrscher
Kapitel 5: Hungrige Schatten
Alice, Faria und Pricia hatten sich Blazer in den Weg gestellt.
„Mann, der nervt so langsam!“
„Alice, ich werde versuchen, ihn abzulenken. Seine Angriffe scheinen stark zu sein, sind jedoch leicht zu durchschauen. Alice, du kommst von links, Pricia, du von rechts. Wenn ich das Signal gebe, dann nehmen wir ihn in die Zange, ok?“
„So machen wir’s.“ Alice nickte Faria zu.
„Guter Plan, Faria!“ Pricia verlor ihre gute Laune auch im Kampf nicht.
Faria ließ demonstrativ ihr Schwert sinken und probierte sogar mit einem kleinen Tänzchen, die Aufmerksamkeit von Blazer auf sich zu lenken.
Alice stutzte. Seit ihrem letzten Kampf mit Blazer schien er sich deutlich verändert zu haben.
Ja, er konnte noch kämpfen, aber seine Bewegungen waren ihr nicht mehr vertraut und sahen eher seltsam aus, so als würde ihn jemand kontrollieren und seine Bewegungen aus der Ferne steuern.
„Heyyyy! Fariaaaaa! Alles klar bei diiiiir?“
„Haha, mach dir keine Sorgen, Pricia. Der Fliegenfänger muss früher aufstehen…“
Pricias Sorgen schienen unbegründet, da Faria mühelos Blazers Angriffe parieren oder ihnen ausweichen konnte. Sie versuchte auch weiterhin, ihn zu reizen und dadurch zu einem Fehltritt zu verleiten, der ihr eine Lücke zum Gegenangriff bieten würde.
Ihr Plan ging auf. Blazer hielt kurz inne, konzentrierte sich und stürzte dann auf Faria los.
„Jetzt!“ Faria gab Alice und Pricia das Zeichen zum Angriff.
Alle drei stürzten sich auf Blazer. Alice nutzte die Macht ihrer Insignie und verwandelte sich in einen Ritter mit einer mächtigen Lanze. Pricia hatte die Vier Heiligen Ungeheuer im Schlepptau und gemeinsam stürzten sie sich mit ausgefahrenen Krallen auf Blazer.
Diesem konzentrierten Gegenangriff hatte Blazer nichts mehr entgegenzusetzen. Er wurde durch die Luft geschleudert, landete unsanft hinter Alice auf dem Boden und rührte sich nicht mehr.
„Faria, das war schon ein bisschen gefährlich, oder?“ Alice wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, um die entstandene Staubwolke loszuwerden.
„Ich hab einfach darauf vertraut, dass ihr zwei es drauf habt.“
„Meint ihr nicht auch, dass hier etwas nicht stimmt?“ Pricia schien sehr besorgt.
„Pricia, du hast Recht. Ich glaube, er wurde von jemandem ferngesteuert. Außerdem fürchte ich, dass er noch lebt.“ Faria deutete mit Excalibur auf die Stelle, an der Blazer gelandet war.
„Pricia, warum schauen wir nicht einfach mal nach. Ich…“ Auch Alice hatte sich zu Blazer umgedreht, doch als sich der Staub verzogen hatte, lag dort niemand mehr.
„Alice! Vorsicht!“
Blazer war jemand, der für seine Macht alles andere geopfert hatte. Seinen Clan, seine Welt, einfach alles hatte er geopfert, als er in die Dienste des Weltensammlers getreten war. Es sah für Alice danach aus, als hätte Blazer seit ihrem letzten Zusammentreffen auch noch das letzte eingebüßt: seinen eigenen Willen. Er schien keine eigenen Gedanken und Ideen mehr zu haben und auch keinerlei Erinnerungen mehr.
Der Weltensammler hatte aus ihm eine Kampfmaschine gemacht, die keinen Schmerz mehr fühlte und einzig und allein von dem Gedanken angetrieben wurde, die Feinde von Gill Lapis zur Strecke zu bringen.
Und so machte er trotz seiner tödlichen Verwundung gerade einen gewaltigen Satz in die Luft und stürzte sich auf Alice. Diese hatte nicht mehr damit gerechnet und sah schon ihr letztes Stündlein schlagen, denn Blazer schien eine gewaltige Magie zu entfesseln. Gewaltig genug, um nicht nur Alice, sondern auch sich selbst zu zerstören. Blazers Gesicht war ohne jeden Ausdruck, sein Mund stand offen und er schien ins Leere zu starren. Alice blieb nur ein letzter verzweifelter Gedanke an ihre Mission und dass sie mit ihrem Tod hier und jetzt ja Kaguya und Scheherazade im Stich lassen würde.
Heute sah es jedoch danach aus, als hätte das Schicksal einen etwas anderen Plan.
Bevor Blazers Angriff Alice erreichen konnte, formten sich seltsame schwarze Kugeln in der Luft über Blazer. Sie verwandelten sich in Speere, schossen auf Blazer zu und durchbohrten ihn mühelos. Wie ein übergroßes Nadelkissen fiel Blazer zu Boden und es war klar, dass er auch nie wieder aufstehen würde.
Kurz darauf erschien der Angreifer, gekleidet in ein schwarzes Gewand, das alles Licht im direkten Umfeld zu absorbieren schien.
„Hmm, ich hab keine Ahnung, warum du solche Schwierigkeiten mit ihm hattest. Bist du sicher, dass DU wirklich ICH bist?“
Alice schaute nach oben und sah ein Mädchen in der Luft schweben. Der Himmel um sie herum sah seltsam aus, als ob dunkle Wolken aufgezogen wären. Aber es ging viel zu schnell, als dass es sich hier um ein normales Naturphänomen handeln konnte. Irgendetwas spuckte seltsame schwarze Kugeln aus, die alles Licht in der Umgebung zu absorbieren schienen.
„Hau rein, Schrödinger.“
„Miauuuu.“
Die seltsame schwarze Katze namens Schrödinger schwebte zu Blazers Körper hinab, doch schien sehr schnell das Interesse zu verlieren und kehrte zu dem schwebenden Mädchen zurück.
„Es ist nichts mehr von ihm übrig? Erbärmlich, nicht mehr als eine leere Hülle. Sieht ganz danach aus, als wäre da jemand sehr gründlich gewesen und hatte Angst davor, was wir mit ihm anstellen würden. Aber egal. Hallo zusammen! Wärt ihr bitte alle so freundlich und füttert meine süße kleine Schrödinger?“ Das Mädchen im Zwielicht-Gewand wandte sich an Alice und die Sieben Herrscher.
„Falls die Alice, die ihr kennt, ein Champion des Lichts ist, dann bin ich die Dunkle Alice, Champion der Finsternis. Leute, dann sag ich mal Hallo… und Lebewohl.“
———————-
Es ein Massaker zu nennen, wäre untertrieben gewesen.
Das Mädchen im Zwielicht-Gewand, die Dunkle Alice, hatte eine perfekte Falle vorbereitet. Sie hatte es geschafft, Yggdrasil und dessen nähere Umgebung mit einer Schattenbarriere zu umgeben. Deren ungewöhnliche Kraft aus einer anderen Welt konnte die Macht der Insignien absaugen und sie damit schwächen. Doch damit nicht genug, auch viele Herrscherkräfte wurden damit abgeschwächt oder gar komplett blockiert. Außerdem hatte die Dunkle Alice eine Armee von Schattenrittern beschworen und damit Alice und die Sieben Herrscher in die Enge getrieben.
„Keine Sorge, Alice. Ich bin hier, um dir deinen Wunsch zu erfüllen. Wir wollen beide dasselbe, schließlich sind wir ja eigentlich auch ein und dieselbe Person, hahahaha!“
„Du bist auch eine Überlebende der Erde? Wieso bi…wer bist du?“
„Ich bin du! Ich bin du! Siehst du das nicht? Ich bin hier, um ihn für dich zu töten!“
„Du bist mein Spieg…nein, das kann nicht sein!“
„Aha! Du erinnerst dich! Sehr gut, sehr gut! Du hast es also auch gesehen! Als die Erde umgewandelt wurde, hast du alles beobachtet! Aber wir sollten uns erst einmal auf das Hier und Jetzt konzentrieren, oder? Bitte sterbt jetzt einfach, damit mein Kätzchen was zu fressen hat!“
Die Schattensoldaten waren allesamt von Schrödinger erzeugt worden. Jedes Mal, als die Katze so eine Schattenkugel ausgespuckt hatte, war sie dadurch geschrumpft. Durch das Produzieren von einer ganzen Schattenarmee war das Kätzlein so klein geworden, dass es bequem auf eine Handfläche passte.
Rezzard und Melgis waren die ersten Opfer. Melgis war noch von seinen Duellen mit Faria geschwächt und Rezzard konnte den Verlust seiner Wiederbelebungskräfte nicht verkraften.
So wurden beide von Schrödinger eingesaugt und absorbiert, wodurch Schrödinger wieder zu wachsen begann.
„Ich frage mich, was Schrödinger wohl aus euch beiden machen wird. Aber gesunde Ernährung ist ja wohl etwas anderes…“
„Dieses Ding muss so eine Art Insignie sein, aber das Hauptproblem ist weder die Insignie noch die merkwürdige Schattenarmee, sondern die Schattenbarriere.
Etwas von diesem Kaliber braucht eine Menge Vorbereitungszeit. Sie muss daher relativ früh gewusst haben, dass wir uns hier treffen wollen. Das bedeutet…“ Farias Gedanken überschlugen sich, als sie versuchte, die Situation unter Kontrolle zu bekommen.
In dem stattfindenden Chaos gab es nur eine Person, die verdächtig ruhig blieb, und das war…
„Valentina! Das habt Ihr uns eingebrockt, oder?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet. Ich versuche gerade, die Situation zu analysieren.“
„Glaubt Ihr wirklich, mich so einfach täuschen zu können? Das ist alles Eure Schuld! Falls diese Welt stirbt, dann sterbt auch Ihr! Seid Ihr lebensmüde geworden?“
„Damit habt Ihr zur Abwechslung mal Recht, kleine Königin. Deswegen habe ich die notwendigen Schritte eingeleitet, um diese Welt zu retten.“ Es war mittlerweile ziemlich offensichtlich, dass die Schattensoldaten der Dunklen Alice gar kein Interesse daran hatten, gegen Valentina zu kämpfen.
Faria suchte verzweifelt nach einem Weg, der Schattenbarriere zu entkommen, während sie um ihr Leben kämpfte. Arla, Machina und Pricia schienen sich gerade noch so mühevoll zu behaupten. Alice hingegen schien wie gelähmt von der Tatsache zu sein, dass jemand, der augenscheinlich ihr Schatten war, hier auftauchte und solches Chaos anrichtete.
„Arla, Pricia, Machina! Wir haben keine Chance, solange wir von der Schattenbarriere eingeschlossen sind! Wir müssen hier raus! Ich werde ein Ablenkungsmanöver starten, damit ihr entkommen könnt!“ Faria versuchte, die überlebenden Herrscher von ihrem Plan zu überzeugen.
„Das könnt Ihr nicht alleine schaffen! Armalla hat Gloria sehr viel zu verdanken, daher werde ich Seite an Seite mit Faria kämpfen. Bis zum bitteren Ende.“
„Faria, ich lasse dich auch nicht im Stich! Die Vier Heiligen Ungeheuer sind ja auch noch da! Alle zusammen können wir uns da raushauen!“ Arla und Pricia rannten zu Faria.
„Meister. Meine Systeme arbeiten nicht mit optimaler Leistung. Lasst mich zurück und flieht. Ich bitte euch.“
„Maribel. Rein logisch betrachtet sollten unsere Chancen auf eine erfolgreiche Flucht steigen, wenn wir zusammenarbeiten. Wir sollten uns daher auf dieses Szenario konzentrieren. Andere Analysen will ich nicht mehr hören, das ist ein Befehl.“ Machina gesellte sich kurz darauf zu den drei anderen Herrschern.
„Ich werde Maribel nicht zurücklassen. Ehrlich gesagt seid ihr mir egal, aber sie ist mein Meisterwerk.“
„Haha, schon gut. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich uns gute Chancen ausrechne, aber was bleibt uns anderes übrig.“ Faria war sehr froh, in dieser schwierigen Situation solche Gefährten zu haben, aber dennoch war sie sicher, dass die Lage nahezu hoffnungslos war. Aber da gab es ja noch Alice…
„Faria, ich, ich werde auch kämpfen. Ich habe zwar keine Ahnung, was hier wirklich geschieht…aber…wir können sie nicht einfach gewinnen lassen!“
„Alice, nein, bitte. Du bist die Einzige, die Attoraktia vor ihm beschützen kann. Du weißt mehr über diese Bedrohung als jeder andere. Falls du stirbst, dann stirbt auch die Hoffnung unserer Welt. Außerdem hast du etwas versprochen, weißt du noch?! Du wolltest meiner Schwester vom Wunderland erzählen. Daher kann ich nicht zulassen, dass du dich hier opferst.“
„Faria, aber, du, du wirst…“ Alice wurde von Faria unterbrochen, deren Lächeln etwas erzwungen schien.
„Excalibur, ich übergehe dir meine letzten verbliebenen Kräfte. Bitte bring Alice zu dem See, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.
Alice, bitte pass gut auf meine Schwester auf!“
„Faria! Nein, bitte!“
Ein strahlendes Leuchten entfuhr Excalibur und umhüllte Alice. Eine Lichtkugel bahnte sich mühsam einen Weg durch die Schattenbarriere und verschwand in der Ferne – Alice war erst einmal in Sicherheit.
„Pah, das ist so unfair! Aber manchmal ist es einfach besser wegzulaufen, um später wieder kämpfen zu können. Haha, so, und jetzt ist Zeit für einen Snack, meine Katze hat immer noch Hunger.“ Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht der Dunklen Alice, die ihre Augen weit aufgerissen hatte.
„So einfach geben wir uns nicht geschlagen! Wir sind die Herrscher dieser Welt, ihre Beschützer! Wir überlassen sie nicht so einfach dem Erstbesten! Letzte Warnung!“ Faria, Pricia, Machina, Arla, die Vier Heiligen Ungeheuer und Maribel stürmten auf die Dunkle Alice und Valentina los.
„Ich denke, Lars wäre stolz auf mich…haha…was für ein seltsamer Zeitpunkt für einen solchen Gedanken…“ Faria konnte nur mühsam ihre Tränen zurückhalten, als sie und ihre Kameraden dem fast sicheren Tod entgegenstürmten.
————
Als alles vorbei war, stand Valentina alleine auf dem kleinen Hügel, wo die Versammlung stattgefunden hatte.
„Ihr hattet Recht, Faria. Falls Attoraktia vernichtet werden sollte, dann betrifft mich das sehr wohl. Aber keine Sorge, ich habe nicht vor, dies zuzulassen. Denn von jetzt an ist das ganz allein meine Welt…“
ALICE: KAPITEL 4 <<< >>> ALICE: KAPITEL 6