Kapitel 10: Scheherazades dritte Nacht
Grimm: Rückkehr der Mondpriesterin
10. Kapitel: Scheherazades dritte Nacht – Die Sechs Weisen
Tausend Jahre zuvor
„So, jetzt müssen wir nur noch unsere Kräfte und unsere Seelen in die Zaubersteine kanalisieren, dann wird Kaguya genügend Energie für ihr Ritual haben.“
„Das ist doch irgendwie Mist, dass uns jetzt nichts anderes mehr übrig bleibt, als uns da drin einzusperren. Wie seht ihr das?“
„Also ich hab kein Problem damit, aber was wird Milest sagen?“
„Stimmt, so richtig kann ich mir ihn da drin nicht vorstellen…“
„Hmpf, ich hab doch schon gesagt, dass ich mitmache.“
„Ups, er kann uns ja doch hören!“
„Wir waren schon viel zu lange zusammen, und außerdem nervt diese langohrige Elfin.“
„Eh?! Suchst du Streit, oder was?!“
„Leute, beruhigt euch, das ist unser letzter Abschied, reißt euch zusammen! Grusbalesta, Fiethsing, Moojdart, Milest und ich – wir werden uns in diesen Zaubersteinen versiegeln. Zero wird als Wache zurückbleiben und dafür sorgen, dass das Siegel, mit dem die Uralten weggesperrt wurden, nicht gebrochen wird. Sind wir alle einer Meinung hier?“
„Also ehrlich gesagt, ich habe ein kleines Problem damit. Zero ist immer so pflichtbewusst und kritisiert mich dauernd.“
„Was sagst du?! Du bist so launisch, da muss ich mir einfach Sorgen machen!“
„Du musst immer alles ganz genau wissen, Zero, oder? Aber wohin der Wind weht, darüber machst du dir keine Gedanken, oder?“
„Könnt ihr nicht einmal aufhören zu streiten?! Ruhe jetzt, alle beide, Fiethsing und Zero!“
„Uh, ähm, verdammt, Fieth, du bist mir was schuldig!“
„Na gut, ich werde mich daran erinnern, versprochen.“
„Als ob du jemals deine Versprechen halten würdest…“
„Zero, du musst die Wache übernehmen! Das Siegel darf nicht gebrochen werden, auch wenn viele es versuchen werden…und wenn das passiert, da-“
„Ich hab schon verstanden. Falls irgendetwas passiert, werde ich etwas dagegen tun, und wenn es mein Leben kostet. Und falls ich überleben sollte…“
„Dann bringe ich dich eigenhändig um, versprochen.“
Tausend Jahre später
Der Schwarzmond war bereits bedrohlich nah, da erhob sich ein starker Wind voller Nostalgie und im Auge des Sturms stand eine einsame Magierin und blickte auf die verwüstete Welt.
„Der Wind hat sich gedreht, das spüre ich. Dieser ekelhafte Wind, das ist doch ihr Werk!“
Zero drehte sich zum Schwarzmond und starrte ihn gebannt an. Warum genau hatte sie diese Gestalt überhaupt angenommen? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Sie hatte das Siegel bewacht, mit dem die Uralten weggesperrt worden waren, und zum Wohl dieser Welt hatte sie auch weiterhin die Macht der Zaubersteine eingesetzt.
Doch während die Jahrhunderte ihrer Wache vergingen, zehrte die Macht immer mehr an ihr, bis Zero eines Tages gar nichts mehr spürte. Die Last ihrer schwierigen Aufgabe war von ihr gewichen, zusammen mit ihrem Pflichtbewusstsein und dem Licht, das sie wie einen Umhang umhüllt hatte und für ihren Beinamen verantwortlich gewesen war.
Auf einmal war da nur noch Leere.
„Zero, lange nicht gesehen… obwohl es mir fast wie gestern vorkommt.“
Im Schein des Schwarzmonds war, begleitet von einem kräftigen Windstoß, ein Mädchen aus einem früheren Jahrtausend erschienen.
„Ich hatte es schon befürchtet, Fieth, du bist wieder da.“
„Hmm, was soll der finstere Blick? Und was sind das für Klamotten? Sind dir die tausend Jahre auf den Geschmack geschlagen?“
„Du hast dich überhaupt nicht verändert, oder?“
„Naja, sagen wir mal so, mein Dornröschenschlaf hat mir nicht wirklich geschadet…“
„Ach übrigens, freu dich, das Siegel ist gebrochen und du kannst mich jetzt endlich umbringen.“
„Hmm, hat dein Geschmack jetzt auch deine Laune auf dem Gewissen? Naja, nicht, das mir das nicht gefallen würde, aber diese Worte…nein, die lassen wir vom Winde verwehen!“
Plötzlich fand Zero sich mitten in einem Barrierefeld aus Wind wieder.
„Dieser Wind hat mir schon vor tausend Jahren gute Dienste geleistet, erinnerst du dich?“
„Dieses laue Lüftchen? Ich habe für Nostalgie nicht mehr viel Verwendung, ich bin nicht mehr die, die ich damals war. Dunkelheit, erhöre mich!“
Dunkle Kugeln erschienen rund um Zero, jede von ihnen schien ein eigenes Gravitationsfeld zu haben, das die Luft um sie herum zum Flimmern brachte. Die Kugeln richteten sich auf den Wind aus und saugten ihn ein. Danach schwebten sie in Zeros Hände und es wurde still.
„Diese Kraft… Ich kann nicht glauben, dass du so tief gesunken bist, Zero?!“
„Zu schnell und zu einfach, ich glaube, das wird mit einer Enttäuschung für mich enden. Fang erst mal an, deine Schulden zu bezahlen… Schwerkraftbindung!“
Plötzlich schossen aus Zeros Händen Ketten aus purer Schwerkraft und legten sich um Fiethsings Beine, so dass sie sich nicht mehr bewegen konnte.
„Ach, menno.“
„Das wird dich ruhigstellen. Und unserer alten Freundschaft zuliebe werde ich es kurz und schmerzlos für dich machen.“
Eine schwarze Lanze materialisierte sich in Zeros Hand – eine Verkörperung ihrer Seele: eine Lanze so finster, dass man sie fast nicht sehen konnte.
„Zero, warte!“
„Ich habe tausend Jahre Ewigkeit hinter mir, jetzt will ich nicht mehr länger warten.“ Mit diesen Worten schleuderte Zero ihren Arm nach vorn und damit auch ihre Lanze. Fiethsing jedoch stand völlig unbeteiligt da und zeigte weder Hoffnung noch Verzweiflung. Statt dessen lachte sie nur, ein kindisches und äußerst nerviges Lachen.
„Du hast dich eigentlich überhaupt nicht verändert. Immer noch so hartnäckig und pflichtbewusst. Egal…glaubst du wirklich, du kannst mich so leicht besiegen?!“
„Was?!“
Fiethsings Wind befreite sich spielend leicht aus Zeros Falle und hob die Schwerkraftbindung auf. Die Windbarriere veränderte ihre Form und erschien als Klinge vor Fiethsing, so dass Zeros schwarze Lanze daran abprallte.
„Wind ist Freiheit, völlig egal, wie sehr du versuchst, ihn einzufangen oder wegzusperren! Es war für ihn ein Leichtes, dich glauben zu machen, deine schwarzen Bällchen hätten ihn eingesaugt. Du dachtest, du hättest ihn gefangen, aber ein Teil von ihm war immer noch frei!“
Die schwarze Lanze war von Fiethsings Windklinge auf Zero umgelenkt worden und zerschmetterte beim Aufprall die schwarze Panzerung.
„Schon besser, jetzt kann ich endlich zu Kaguya gehen.“
„Was?! Warum bringst du mich nicht um? Du hast versprochen, mich zu töten!“
Fiethsing lachte unschuldig. „Hast du nach dieser halben Ewigkeit schon alles vergessen? Seit wann halte ich denn meine Versprechen?!“
„Aber…aber, mein Leben hat doch jetzt keinen Sinn mehr.“
„Zero, was du verloren hast, das wirst du nie wieder sehen, soviel ist sicher. Aber weißt du, der Wind ist immer wieder für neue Überraschungen gut. Wie zum Beispiel…ähm, dank ihm sind mir diese wirklich sehr bequemen Klamotten zugeflogen!“
Zero stöhnte…
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